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Chebli beurlaubt

geschrieben von: Redaktion am 21.08.2020, 10:28 Uhr
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Während der Regierende Bürgermeister, die Senatoren und Abgeordneten gestern zwölf Stunden im Preußischen Landtag saßen und alles diskutierten, was gegenwärtig auf der Agenda steht, gönnt sich Staatssekretärin Sawsan Chebli eine Auszeit für ihren innerparteilichen Wahlkampf. Sie hat sich selbst beurlaubt. Es ist ein bislang einmaliger Vor-gang, dass eine Staatssekretärin gegen einen amtierenden Regierungschef eines Bundeslandes kandidiert, aber natürlich völlig legitim und von Grund auf demokratisch, woanders aber kaum denkbar.

Räumen wir kurz mit zwei Legenden auf, die sich in den Medien verbreitet haben. Dass Frau Chebli Interesse an einem Bundestagsmandat habe, sei angeblich bekannt gewesen. Genauso bekannt wie das Interesse von Michael Müller. Beide haben allerdings den richtigen Zeitpunkt verpasst. Müller hätte schon im Januar, als er sein Nachfolgeduo für den Parteivorsitz, Giffey und Saleh, präsentierte, klar sagen sollen, dass er nach dem Ende der Legislaturperiode für den Bundestag kandidieren wolle, als Spitzenkandidat auf Listenplatz Eins und natürlich in seinem Heimatwahlkreis Tempelhof-Schöneberg. Weil er dies aber nicht erklärt hat, konnte ihm Kevin Kühnert in aller Ruhe den Wahlkreis ab-nehmen. Jaja, hätte, hätte, Fahrradkette, sagte schon Peer Steinbrück.

Richtig ist aber, dass sich Müller in Charlottenburg-Wilmersdorf am 10. August als erster um den dortigen Wahlkreis beworben hat. Einen Tag später ließ sich Chebli von ihrem Ortsverein von rund zehn anwesenden Mitgliedern nominieren, und erst am 13. August zur Vorstandssitzung des Kreisverbandes Charlottenburg-Wilmersdorf lag Cheblis Bewerbung vor. Dieser zeitliche Ablauf mag kleinkariert klingen, er hat aber große Bedeutung, denn nicht Müller kandidiert gegen Chebli, sondern umgekehrt.

Auch die Unterstellung der Berliner Zeitung, Müller habe nun „mit dem Wahlkampf längst begonnen“, weil er „seinen Senat“ im Rathaus Charlottenburg „tagen lässt“ und anschließend eine Tour durch den Bezirk unternimmt, hat mit der Wahrheit wenig zu tun. Der Termin für die Bezirkstour durch Charlottenburg-Wilmersdorf wurde verbindlich zwischen Senatskanzlei und Bezirksamt am 4. März bestätigt.

Ein innerparteilicher Wahlkampf findet in den Parteien längst nicht mehr nur innerhalb der Partei für die Mitglieder statt. Wir erinnern uns ungern an das Kandidatencasting der SPD im letzten Jahr, das große mediale Aufmerksamkeit errang. Vielleicht gibt es auch in Charlottenburg-Wilmersdorf Veranstaltungen für die Parteimitglieder, auf denen sich Müller und Chebli vorstellen. Das ist der extrovertierten Twitterin Chebli aber zu wenig. Sie geht voll in die mediale Offensive und hat innerhalb von 24 Stunden gezeigt, wozu sie in der Lage ist.

Gestern Nachmittag bei „Vier reden jetzt“, ein Online-Format von BILD. Drei Journalistinnen im Gespräch mit Sawsan Chebli. Von Terroranschlag auf der A100 über Frauen in der Politik bis hin zu den Demonstrationen in Belarus. Sie empfiehlt sich in dem Gespräch als Außen- und Sozialpolitikerin. Zu ihrer Kandidatur gegen Müller sagt sie, dass dieser das sportlich sehen werde (wenn er verliert). Sie hätte sich eine andere Lösung gewünscht. Welche sagt sie nicht.

Am selben Tag, abends, ist Chebli dann Gast in der RBB-Sendung „Talk aus Berlin“ mit Jörg Thadeusz. Zu diesem Zeitpunkt ist längst der Tagesspiegel von heute erschienen. Auf der Titelseite, noch über der Headline „Kreml-Kritiker Nawalny soll nach Berlin kommen“, die Botschaft „Kampfbereit“, garniert mit einem Foto, auf dem Müller (natürlich) genervt aus-sieht und Chebli ihn lächelnd, fast mitleidig, an-schaut. Um dieses Feuerwerk hinzubekommen, muss man schon ganzen Einsatz zeigen. Beziehungen braucht man dafür natürlich nicht, weil jedes Medium frei in der Auswahl seiner Gesprächspartner ist. Die Geschichte ist ja auch wie gemacht für die Medien. Die Schöne und das Biest lassen grüßen.

Nach diesem Trommelfeuerwerk fragt man sich natürlich, wie es weitergehen soll. ZDF-Spezial? Sommergespräch im „Bericht aus Charlottenburg-Wilmersdorf“? CNN? Wer weiß. Jedenfalls wird uns der innerparteiliche Wahlkampf von Frau Chebli bis zur Abstimmung der Kreisdelegierten in CW beschäftigen. Chebli präsentiert sich als Außenseiterin, als Frau gegen einen Mann. Sie ist immerhin Staatssekretärin und sagt unumwunden im BILD-Talk, dass sie dies auch auf dem Migrantenticket erreicht habe.

Die komplette Dritte Seite der Freitagsausgabe des Tagesspiegels ist Chebli gewidmet. Überschrift „Die Unverschämte.“ „Nicht sie tritt gegen ihn (Müller) an, korrigiert sie, sondern beide gegeneinander.“ Die einen sagen so, die anderen sagen so.

„Sie Könnte Michael Müllers Karriere beenden“ und fragt „Wieso muss ich weichen?“ Die Reportage von Anke Myrrhe beginnt ein wenig wie bei Rosa-munde Pilcher. „Das Handy hört nicht auf zu klingeln. Es liegt auf dem runden Bistrotisch und bringt das dunkelgrüne Metall zum Scheppern. Wieder und wieder vibriert es, Mitteilungen blinken auf, unbekannte Nummern, ab und zu drückt Sawsan Chebli auf das iPhone und versucht ein ‚Ich kann gerade nicht sprechen‘ zu versenden. Meist schaut sie zu früh wieder hoch, merkt nicht, dass die Nachricht noch nicht abgeschickt wurde.“

„Seit Tagen geht das so, seit sie am vergangenen Donnerstag angekündigt hat, in Charlottenburg-Wilmersdorf für den Bundestag kandidieren zu wollen. Kandidieren zu wollen, obwohl Michael Müller, Regierender Bürgermeister, SPD-Landeschef, ihr Chef, seine Kandidatur genau hier im bürgerlichen Berliner Westen bereits ein paar Tage zuvor angekündigt hatte.“ „Wieder beginnt der Tisch zu vibrieren. ‚Es ist völlig verrückt‘, sagt sie und lächelt fast ein wenig unsicher, wie es sonst so gar nicht ihre Art ist. Ist ihr klar, was sie da ausgelöst hat?“ Ja, sie weiß es!

„Ein langes, vibrierendes Wochenende später kommt Chebli im wallenden gelben Sommerkleid über den Ku’damm geschlendert, flache hellbraune Ledersandalen, die schwarzen Haare perfekt geglättet, knallroter Lippenstift. Die Perfektion ihres Aussehens, ihrer penibel zusammengestellten Garderobe ist nur einer von vielen Angriffspunkten, die ihre Gegner in ihr entdeckt haben wollen. Als vor zwei Jahren ein altes Foto von ihr mit einer Rolex am Handgelenk auftauchte, hieß es, das gehöre sich nicht für eine Sozialdemokratin.“

Wenn Sie 1,90 Euro übrighaben, sollten Sie sich heute den Tagesspiegel kaufen oder online nach der Reportage suchen. Gut geschrieben. Es steht auch viel zwischen den Zeilen. Hier noch ein paar Auszüge:

„Es gibt wenige Politiker im Land, die derart polarisieren wie sie, die im Internet täglich mit Kübelweise Hass überschüttet wird. Sie wirft sich lustvoll in diese Twitter-Debatten, immer wieder auf ihre Herkunft referierend, als staatenlose Tochter zweier Palästinenser.“

„Anstrengend ist das Wort, das am häufigsten über sie fällt, wenn man sich in der SPD umhört. Es ist selten positiv gemeint.“ „Er (Müller), der sie vor drei Jahren als Staatssekretärin für Bürgerschaftliches Engagement und Internationales in die Senatskanzlei holte, war bald genervt von der Debatte, die ihre Tweets immer wieder auslösten, öffentlich und im Parlament.“

„Niemand spricht mehr über Franziska Giffey, die Chefin werden soll. Niemand über die vielen Kandidatinnen, die antreten werden von Treptow-Köpenick bis Mitte… Niemand über Cansel Kiziltepe, die in dieser Woche ihre erneute Kandidatur angekündigt hat, völlig geräuschlos, ohne jeglichen Widerstand.“

„Eine Wespe fliegt in das kleine Kännchen mit der Sojamilch, das sich Chebli zu ihrem Americano on the Rocks bestellt hat. ‚Oh nein, das tut mir so leid‘, ruft sie und sieht sich hektisch nach einer Rettungsmöglichkeit für das zappelnde Tier um. ‚Wie krieg‘ ich die da raus?‘ Sie nimmt eine Serviette und hält sie in die Milch. Die Wespe krabbelt in die Freiheit, Chebli lächelt erleichtert.“

„Für sie selbst gibt es nun keinen Ausweg mehr, ebenso wie für Müller.“ „Müller hätte am Montag (10.08.) mit ihr gemeinsam seine Kandidatur erklären können.“ Ja, wenn ihre Bewerbung bereits an diesem Tag vorgelegen hätte, der Zeitablauf war ein anderer. Siehe Seit 1 linke Spalte, dritter Absatz.

Die Fronten sind klar. Chebli wird nicht verzichten und Müller auch nicht. Und wir, von denen die meisten keine Stimme in der Kreisdelegiertenversammlung von Charlottenburg-Wilmersdorf haben, müs-sen die weiteren medialen Wahlkampfaktivitäten von Frau Chebli ertragen.

Übrigens: Während Emnid und INSA in den letzten Tagen die SPD auf Bundesebene zwei Punkte vor den Grünen sahen, bewertet Infratest dimap für den ARD Deutschlandtrend die SPD heute mit 16 und die Grünen mit 17 Prozent. Der deutliche Vorsprung der Grünen von Juni und Juli ist dahin.

Ed Koch

  
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