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Mehr als eine Kohlenhandlung

geschrieben von: Redaktion am 22.09.2021, 08:27 Uhr
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In der Torgauer Straße 24/25 in Schöneberg auf der Roten Insel befindet sich ein mit Graffiti bemaltes kleines Gebäude hinter einem Zaun. Der unbedarfte Spaziergänger denkt unweigerlich, braucht das noch jemand oder kann es weg? Die Frage ist berechtigt, denn Überlegungen, das Haus abzureißen, gab es durchaus.

Was es mit diesem Gebäude auf sich hat, erklären Hinweisschilder am Eingang. Beim Blick in unser Archiv sind wir auf einen umfangreichen Newsletter vom 5. April 2013 gestoßen, der den damaligen Stand der Dinge beschrieb.

In dem Haus befand sich während der Nazi-Diktatur eine Kohlenhandlung, die im Krieg zerstört und da-nach wieder aufgebaut wurde. Annedore und Julius Leber organisierten von hier aus den zivilen Widerstand gegen die Nazis. Eine unglaubliche Ge-schichte. Nach vielen Irrungen und Wirrungen, die leider zeigen, wie schwer es heute fällt, mit Erinnerungsorten umzugehen, geht es jetzt endlich voran. Während dieses Prozesses war ein Teil der politischen Akteure nicht immer hilfreich, ein anderer dafür umso mehr. Vor allem aber ist es dem zivilgesellschaftlichen Engagement von Bürgerinnen und Bürgern zu verdanken, dass der Lern- und Gedenkort für Annedore und Julis Leber endlich entstehen kann.

Ein Blick in das Innere des Gebäudes lässt einen erschaudern. Man muss schon sehr viel Fantasie haben, um sich vorstellen zu können, dass hier in Zukunft Veranstaltungen stattfinden können. Obwohl genügend Platz drumherum vorhanden ist, kann das Gebäude nicht vergrößert werden. Welche Vorschriften auch immer dagegensprechen. Der Denkmalschutz kann es nicht sein, denn das Haus steht nicht unter Denkmalschutz. Zumindest darf es in der Höhe ausgebaut werden, was Sinn macht, weil man die Decke fast mit den Fingerspitzen berühren kann. Auf den Grundmauern soll eine Glaskonstruktion eingezogen werden und darauf das neue Dach kommen. So erhält das Haus zusätzliches Oberlicht, was sehr schön aussehen dürfte.

Bis zu 350.000 Euro werden aus Lottomitteln für die Herrichtung des Lern- und Gedenkortes zur Verfügung gestellt. www.gedenkort-leber.de

Gestern, am 21. September 2021, lud der Träger, der Stadtteilverein Schöneberg e.V. zu einem Informationsgespräch ein, an dem auch Bezirksbürgermeisterin Angelika Schöttler teilnahm, in deren Amtszeit sie immer wieder das Projekt unter-stützte. Nachfolgend veröffentlichen wir einen Text des Arbeitskreises, der die Geschichte dieses Gedenkortes von der Idee bis zur jetzt eingeleiteten Realisierung darstellt.

Ed Koch

Hinweisen möchten wir in diesem Zusammenhang auch auf eine Broschüre, die die Geschichte auf 111 reich bebilderten Seiten beschreibt. Für 14,40 Euro kann die Broschüre bei der Berliner Geschichtswerk-statt bestellt werden. http://berliner-geschichtswerkstatt.de/bestellbare.html

2012 gründete sich der Arbeitskreis Annedore und Julius Leber: engagierte Nachbar-innen, Historiker-innen, Künstlerinnen, Mitglieder des Stadtteilverein Schöneberg und der Berliner Geschichtswerkstatt setzten sich dafür ein, das Gebäude der ehemaligen Kohlenhandlung zu erhalten. Regelmäßig trifft man sich seither am 2. Mittwoch im Monat, zur Arbeit am Konzept, zur Vorbereitung von Veranstaltungen und Veröffentlichungen. Auch die Grundlagen für den Antrag bei der Lottostiftung wurden so erarbeitet: Jetzt war es so weit, der Antrag war mehrfach überarbeitet und neu eingereicht worden, fachliche Stellungnahmen eingeholt. Die Mitglieder des Arbeitskreises freuen sich über die kommenden Auf-gaben, die Mitarbeiter-innen im Stadtteilzentrum des Stadtteilvereins Schöneberg (gefördert aus dem IFP Stadtteilzentren) unterstützen und begleiten das ambitionierte Projekt.

Auf dem Gelände der ehemaligen Kohlenhandlung in der Torgauer Straße entsteht der „Lern- und Gedenkort Annedore und Julius Leber“:

Hier wird an das Leben der beiden Widerstandskämpfer erinnert, sich mit ihrer Arbeit und ihrem Werk beschäftigt. Aber es soll auch ein Ort sein, um sich mit der lokalen Geschichte auseinanderzusetzen, für Begegnung und Nachbarschaft, vor allem aber ein Ort des gemeinsamen Lernens für ein demokratisches Miteinander, mit Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen, „alten“ und „neuen“ Berlinerinnen aus aller Welt, ein Platz für die Entwicklung von Methoden und Strategien, die es möglich machen, auch diejenigen einzubeziehen, dies sich gar nicht so leicht für diese Themen gewinnen las-sen.

Der authentische Ort des Widerstandes und der politischen Arbeit von Annedore und Julius Leber eignet sich als Ausgangspunkt für alle diese Vorhaben.

Das Bezirksamt Tempelhof-Schöneberg hat einen Nutzungsvertrag für das Gelände und Gebäude mit dem Stadtteilverein Schöneberg abgeschlossen. Seitdem pflegt der Arbeitskreis das Gelände und präsentiert jährlich wechselnde „Ausstellungen am Gartenzaun“, die sich Parkbesucher gerne anschauen. Die Ausstellungen befassten sich mit den Biografien der Lebers, mit ihrem Netzwerk im Widerstand, mit den Besuchern der Kohlenhandlung, und derzeit mit einem Werk aus Annedore Lebers Mosaik Verlag aus den sechziger Jahren, das sich mit den Beiträgen jüdischer Bürger in unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen beschäftigt.

Aus den Ausstellungen heraus wurde eine Broschüre erarbeitet, die beim Stadtteilverein Schöneberg und bei der Berliner Geschichtswerkstatt und in einigen Buchhandlungen in der Umgebung erworben werden kann: Hier sind die Ergebnisse der umfangreichen Recherchen der Mitglieder des Arbeitskreises dokumentiert, die Arbeit der letzten neun Jahre zusammengefasst, Veranstaltungen dokumentiert, Biographien und die Geschichte der Kohlenhandlung fest-gehalten, und nicht zuletzt das Konzept für die künftige Gestaltung und Nutzung niedergelegt.

Für den Unterhalt des künftigen Lern- und Gedenkortes Annedore und Julius Leber hat der Stadt-teilverein Schöneberg e.V. ein nachhaltiges Finanzierungskonzept für ein dauerhaftes Crowdfundings entwickelt. Bereits jetzt unterstützen knapp 50 Förderer-innen das Vorhaben durch regelmäßige kleine finanzielle Beiträge und finanzieren die schon jetzt anfallenden Unterhaltskosten und einen Teil der notwendigen „Eigenmittel“.

Der Stadtteilverein Schöneberg e.V. ist seit mehr als 40 Jahren in Schöneberg als Träger von Nachbarschaftsangeboten, Stadtteilzentrum, Kinder und Jugendtreffs, kleinen Kindertagesstätten und zahlreichen Angeboten für alle Nachbarinnen, für Arbeitslose, Migrant-Innen, Frauen, ältere Menschen, Familien, mit soziokulturellen Angeboten engagiert. Das vom Verein ausgerichtete Crellefest wird seit mehr als 40 Jahren regelmäßig gefeiert, viele Nachbar-innen nutzen die Angebote und schätzen die Möglichkeit, dass Menschen aus aller Welt sich hier begegnen können.

Wir bedanken uns bei der Bürgermeisterin von Tempelhof-Schöneberg Angelika Schöttler, die wesentlich dazu beigetragen hat, die Voraussetzungen für die Antragstellung zu schaffen.

Unterstützung fanden wir auch bei Stadtrat Jörn Oltmann und vielen in der Kommunalpolitik in Tempelhof-Schöneberg engagierten Politiker-innen, die uns mit Rat und Tat und Einsatz begleiten. Auch ihnen gilt unser herzlicher Dank. Ebenso den vielen Einzelpersonen, Fachleuten, Historiker-innen und engagierten Menschen, die alle dazu beitragen, dass wir jetzt in die Realisierungsphase unseres Vorhabens einsteigen können. Dank gilt auch besonders unserem Kooperationspartner, der Berliner Geschichtswerkstatt, der uns von Anfang an tatkräftig und fachlich unterstützt und begleitet. Wir bedanken uns bei den Mitgliedern des Arbeitskreises, die mit uns den langen Atem hatten, und mit denen wir jetzt die nächste große Etappe, das anstehende Prüfverfahren, auf dem Weg zum Lern- und Gedenkort angehen können.

  
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