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Der 10. November 1989 - Ein Zitat geht um die Welt

geschrieben von: Redaktion am 30.07.2021, 06:01 Uhr
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Der 10. November war ein Freitag, ein Tag nach dem Mauerfall. Das Abgeordnetenhaus, das normaler Weise donnerstags tagt, trat zusammen, um die Lage zu besprechen. Regierender Bürgermeister war damals Walter Momper. Das Rathaus wurde für Besucher gesperrt, als bekannt wurde, dass sich die halbe Bundesregierung, die gerade Warschau besuchte, auf den Weg nach Berlin machte. Vor dem Rathaus wurde ein Rednerpult aufgestellt. Zum Glück (für mich) fand im Rathaus eine Sitzung eines deutsch-amerikanischen Vereins statt, dessen Mitglied ich war. Mithilfe der Einladung durfte ich ins Rathaus, nahm aber erst viel später an der Vereinssitzung teil, denn das, was sich im und vor dem Rathaus abspielte, war viel interessanter.

Wie eine Dampfwalze bahnten sich Bundeskanzler Helmut Kohl und seine Minister ihren Weg durch die Brandenburg Halle in den Plenarsaal, der heute den Namen Willy Brandts trägt. Eilig wurden Stühle bereitgestellt, damit sich alle hinsetzen konnten. Das Ende der Plenarsitzung war ebenso peinlich wie das Ende der folgenden Kundgebung vor dem Rat-haus. Abgeordnete der rechten Republikaner stimmten die Nationalhymne an. Später vor dem Rathaus gab Parlamentspräsident Jürgen Wohlrabe den Ton an. Beide Interpretationen waren einfach nur grauenvoll, noch schlimmer als die Version von Sarah Connor (Brüh‘ im Glanze dieses Lichtes). Die taz legte ihrer nächsten Ausgabe eine kleine Plastik-Platte bei, auf der sie den Wohlrabschen Männerchor gepresst hatte.

Bevor es aber zu der musikalischen Entgleisung kam, fand die Kundgebung statt. Auf ein relativ kleines Podium versuchten sich alle anwesenden Politiker zu drängeln, um vielleicht auf dem historischen Foto später gesichtet werden zu können. Ich stand natürlich bescheiden hinter dem Podium.

Auf dem John-F.-Kennedy-Platz hatten sich rund 20.000 Menschen versammelt, darunter auch viele Ost-Berliner, die sich gerade ihr Begrüßungsgeld abgeholt hatten. Helmut Kohl hatte keinen leichten Stand. Er wurde ausgebuht und war sichtlich sauer. Anschließend machte er seinem Ärger in der Rat-haus-Lobby Luft. Er fuhr von dort zum Breitscheidplatz, wo die Berliner CDU eine Kundgebung vorbereitet hatte. Keine gute Idee, denn auch dort wurde Kohl ausgepfiffen.

Jetzt wächst zusammen, was zusammengehört

Es ist 1958. Die U-Bahnlinie 6 wurde von Alt-Mariendorf bis Tegel verlängert und führte unter den Osten der Stadt durch. Ab 1961 hielten die Züge lediglich am Grenzübergang (Tränenpalast) Friedrichstraße. Wer nicht rüber wollte, kaufte sich schnell im Intershop billigen Schnaps und fuhr zu-rück.

Anlässlich der Einweihungsfeierlichkeiten, so die FAZ in einem Artikel vom 14. Oktober 2014, habe der damalige Regierende Bürgermeister Willy Brandt den Satz verwendet, „nun wachse zusammen, was zusammengehöre“. So einen Satz vergisst man nicht.

Brandt hat diesen Satz aber nicht vor dem Rathaus Schöneberg wiederholt. Ich habe seine Rede aufmerksam verfolgt und wunderte mich am nächsten Tag über dieses Zitat, das mir aufgefallen und in Erinnerung geblieben wäre.

Die wahre Geschichte

Ansgar Hocke erzählt sie und wir zitieren aus der FAZ vom 14.10.2014.

Hocke erinnert sich an seine Begegnung mit Brandt vor dem Rathaus Schöneberg um 11:45 Uhr am 10. November 1989: „Er steigt aus dem Wagen, keine Menschentraube, kein weiterer Journalist ist zu sehen. Meine Einstiegsfrage: ‚Willy Brandt, wir stehen hier vor den Stufen des Roten Rathauses, was geht in Ihnen an so einem Tag vor?‘“ Brandt habe gelacht und ihm den Arm auf die Schulter gelegt. „So weit ist es noch nicht.“ Zweiter Anlauf. Hocke: „Sie standen oft hier – was geht in Ihnen vor?“ Brandt: „Sie haben recht: Ich habe hier oft gestanden, vor allen Dingen am 16. August 1961, kann ich mich erinnern, da haben wir unseren Zorn, unsere Ohnmacht hinausgeschrien. Jetzt sind wir in einer Situation, in der wieder zusammenwächst, was zusammengehört.“

Andere Radioanstalten übernahmen den O-Ton des damaligen SFB (heute: rbb). Die Deutsche Presse-Agentur zitierte ihn. Auch ein Reporter der „Berliner Morgenpost“ sprach an jenem Freitag mit Brandt. Der Sozialdemokrat wiederholte die Worte vom „Zusammenwachsen“ dessen, was „zusammen“ gehöre. Doch schien die Bemerkung Brandts der Zeitung nicht sonderlich spektakulär. Das Zitat er-schien im Text, nicht aber in der Überschrift. Und doch: Das Zitat nahm seinen Lauf. Die SPD druckte es auf Flugblättern und Plakaten. In einem Sonderheft der Zeitschrift „Stern“ wurde der Wortlaut in ein Foto mit Brandt montiert. Später, auf einem SPD-Bundesparteitag im Berliner ICC, schmückte es zeitweise die Stirnwand.

Die Rede von Willy Brandt ist nachzulesen unter:

https://www.bpb.de/geschichte/deutsche-einheit/deutsche-teilung-deutsche-einheit/43709/willy-brandt-zum-mauerfall

https://willy-brandt.de/wp-content/uploads/heft_08_waechst_zusammen.pdf

Die bedeutsamen Worte von Willy Brandt, die Ans-gar Hocke als erster auf seinem Tonbandgerät verewigt hatte, fanden später Eingang in die offizielle Schreibung der Bundesregierung. Brandt sagte: „Aus dem Krieg und aus der Veruneinigung der Siegermächte erwuchs die Spaltung Europas, Deutschlands, in Berlin reproduziert auf mehrfache Weise. Jetzt wächst zusammen, was zusammengehört. Und jetzt erleben wir, und das ist etwas Großes – und ich bin dem Herrgott dankbar dafür, dass ich dies miterleben darf – wir erleben, dass die Teile Europas wieder zusammenwachsen.“ Der Satz "Jetzt wächst zusammen, was zusammengehört" wurde später hinzugefügt. Sei es drum. Ob am Abend vor dem Rathaus Schöneberg oder am Vormittag einem Reporter gegenüber gesagt, der Nachwelt bleibt der Satz ohnehin in Erinnerung.

Den Reporter hat am Vormittag des 10. November 1989 der Mantel der Geschichte gestreift. Ich wünsche Ansgar Hocke alles Gute für den neuen Lebensabschnitt und mir viele weitere Begegnungen mit ihm und noch mehr spannende Geschichten.

Ed Koch

  
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