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Vattenfall gibt auf

geschrieben von: Redaktion am 23.10.2020, 13:02 Uhr
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Vattenfall hat genug von dem ewigen Gezerre um die Konzession des Berliner Stromnetzes. Der Konzern hat Berlin den Kauf der Stromnetz Berlin GmbH angeboten. „Ein guter Tag für Berlin“, sagte soeben der Regierende Bürgermeister in einer Pressekonferenz im Roten Rathaus.

Michael Müller fügt damit ein weiteres Kapitel in seinem Geschichtsbuch über die Amtszeit als Regierender Bürgermeister hinzu. Der BER wird endlich eröffnet, das Stromnetz wird rekommunalisiert. Mehr Erfolge kann man in einer Woche kaum verkraften. Dazu ist er als Vorsitzender der Ministerpräsidentenkonferenz bis zum Ende der Legislatur überall gefragter Gesprächspartner in den Medien und darf an der Seite von Bundeskanzlerin Angela Merkel dem Land die Corona-Maßnahmen erklären. Nach wie vor am Parlament vorbei.


Nun zum Stromnetz. Viele Fragen sind noch offen, klar ist aber, betonte Müller und sein Finanzsenator Matthias Kollatz, dass alles ordentlich im Parlament besprochen werde. Dort ist dem Senat eine große Mehrheit aus SPD, Linken und Grünen sicher. Die Ideologen der Hauptstadt werden heute Abend ein Tässchen Rotkäppchen Sekt zu sich nehmen. Davon, dass sich die Rekommunalisierung des Netzes auf den Strompreis auswirkt, darf wohl nicht ausgegangen werden. Als dieser Satz fiel, sankt die Zuschauerquote bei You Tube von über 200 unter 100.

Müller und Kollatz dankten sich gegenseitig für ihr Engagement. Wie gesagt: Ein großer Tag für Berlin, vor allem für den Regierenden Bürgermeister und den Finanzsenator. Vattenfall hat in diesem Jahr 2011 Mio. Euro in das Netz investiert. Müller verspricht, die Summe noch erhöhen und andere Akzente setzen zu wollen. Denn ein privatwirtschaftliches Unternehmen wie Vattenfall schaut immer zuerst darauf, ob die Investitionen dem Unternehmen dienen und erst dann der Stadt. Keine besonders freundliche Äußerungen des Regierenden. Nun aber werde alles noch besser. Davon, dass dem Land Berlin über 100 Mio. Euro an Konzessionsabgabe jährlich verloren gehen, wurde nichts gesagt.

Nun soll alles sehr schnell gehen. Schon zum 1. Januar 2021 soll die Stromnetzgesellschaft dem Land Berlin gehören. Was Berlin der Deal kosten wird, steht noch nicht fest. Der Wert soll ermittelt werden und wird wahrscheinlich zwischen einer und drei Milliarden Euro liegen, die den Haushalt nicht belasten sollen. Es werden Kredite aufgenommen, die sicherlich irgendwann zurückgezahlt werden müssen. Aber, was solls. In Corona-Zeiten kommt es auf eine Milliarde mehr oder weniger nicht an. Die Mitarbeiter der Gesellschaft sollen auch vom Land Berlin übernommen werden. Das zumindest klingt gut.

Noch während die Pressekonferenz lief, wurde schon Müllers Statement versandt: „Wir bedanken uns für das Angebot von Vattenfall. Ich freue mich, dass nun aller Voraussicht nach die jahrelangen Auseinandersetzungen um das Berliner Stromnetz beendet werden können. Unserem Ziel einer Rekommunalisierung der Strominfrastruktur kommen wir damit einen entscheidenden Schritt näher. Die Rekommunalisierung stellt den zentralen Baustein der Daseinsvorsorge und der Energiewende in Berlin dar. Das Stromnetz ist eine Schlüsselinfrastruktur für die Klimawende. Hier sind erhebliche Investitionen erforderlich, die aber durchaus im Rahmen eines effizienten, integrierten Betriebs erwirtschaftet werden können. Das Land Berlin will diese Investitionen voranbringen und in Kooperation mit industriellen Partnern notwendige zukunftsweisende und innovative Projekte umsetzen.“

Und der Finanzsenator wird wie folgt zitiert: „Das Angebot des Vattenfall-Konzerns ermöglicht es bei-den Seiten, ein langwieriges Gerichtsverfahren nicht noch über Jahre hinaus auszutragen, sondern im Interesse beider zu einem guten und vernünftigen Ergebnis zu kommen. Die bisherigen Angebote aus dem Stromkonzessionsverfahren bestehen unverändert fort. Nach Prüfung durch die Vergabestelle werden der Senat und das Abgeordnetenhaus alle notwendigen Entscheidungen treffen. Das Angebot sieht eine Bindefrist bis zum 31.07.2021 vor, sodass genügend Zeit besteht, das Angebot zu bewerten und in dieser für das Land Berlin so wichtigen Angelegenheit angemessen und richtig zu entscheiden. Ich werde mich dafür einsetzen, dass die grundsätzlichen Weichenstellungen hierfür so früh wie möglich, das heißt Anfang 2021, vorgenommen werden, um den Kaufprozess zum 1.1.2021 wirksam werden zu lassen und möglichst rasch Investitionssicherheit zu schaffen.“

Die CDU, wie die FDP kein Freund der Rekommunalisierung, lässt durch ihren wirtschaftspolitischen Sprecher Christian Gräff erklären. „Das Angebot der Vattenfall AG, das Berliner Stromnetz zu verkaufen, würde das Land Berlin einen hohen Milliardenbetrag kosten. Der durch die Pandemie erhöhte Schuldenberg würde dadurch erheblich wachsen. Daher warnen wir vor voreiligen Zusagen. Erst muss durch eine Wirtschaftlichkeitsprüfung sicher-gestellt sein, dass sich ein Kauf für die Berliner rechnet. Vor allem aber muss das Parlament an der Entscheidung beteiligt werden. Ein weiteres Milliardengrab wie die Mehrkosten am BER können wir uns angesichts der anstehenden Aufgaben in Berlin nicht erlauben.“

Und auch der CDU-Vorsitzende und Bürgermeisterkandidat Kai Wegner äußerte sich umgehend: „Die CDU hat immer Kooperation statt Konfrontation vom Senat eingefordert. Rot-Rot-Grün hat den Weg 'mit dem Kopf durch die Wand' gewählt und wurde auch in der Energiepolitik von Gerichten gestoppt.

Das Angebot von Vattenfall wirft Fragen auf. Die erste Frage lautet: Wie hoch ist der Preis, den die Berlinerinnen und Berliner zahlen müssen? Es ist unverantwortlich, eine Kaufzusage zu machen, ohne zu wissen, was man zahlen muss. Milliarden an Steuergeldern zu zahlen für etwas, was im Alltags-leben der Berliner nichts verbessert, ist nicht nachvollziehbar. Die Stromversorgung durch Vattenfall hat in der Vergangenheit problemlos geklappt.

Die zweite Frage, die sich jetzt stellt: Setzt der Senat die richtigen Prioritäten? Ideologiegetriebene Ausgaben in Milliardenhöhe sind fehl am Platze. Jeder Euro wird gebraucht werden, die Berliner Wirtschaft wieder unter Dampf zu setzen, wenn die Pandemie vorbei ist. Der Streit um das Energienetz Berlins ging vom Senat und seinen rot-rot-grünen Verstaatlichungsphantasien aus. Dieser Streit hat in völlig unnötiger Weise die Beziehungen zum Energieanbieter Vattenfall belastet.

Es drängt sich der Eindruck auf, dass heute ein sinn-loser Streit beigelegt wird, und das mit viel Geld, das Berlin an anderer Stelle sehr viel dringender gebrauchen könnte."

Und hier die Meinung der FDP, vertreten durch Henner Schmidt, dem energiepolitischen Sprecher der Fraktion.

„Ein für viele Jahre unabsehbarer Rechtsstreit ist durch das Angebot von Vattenfall nun beendet und Klarheit geschaffen worden. Aus Sicht der FDP-Fraktion ist der Kauf des Berliner Stromnetzes durch das Land Berlin jedoch weiterhin nicht sinnvoll: Der Kaufpreis beträgt Milliarden. Dafür geht die Stadt ein wirtschaftliches Risiko ein, denn das Stromnetz könnte durchaus auch Verluste erzielen. Im Gegenzug bekommt Berlin keine größeren Möglichkeiten, Energie- und Klimapolitik damit zu betreiben, denn dafür ist das Stromnetz zu stark reguliert. Das Land Berlin will für das Stromnetz Berlin hohe Darlehen aufnehmen lassen, um den Kaufpreis zu finanzieren und verhält sich damit wie als „Heuschrecken“ kritisierte Investoren. Auch dieses Finanzierungsmodell schafft zusätzliche Risiken.

Wichtig ist jetzt, dass das Land Berlin garantiert, auch langfristig die Investitionen ins Stromnetz im nötigen Umfang fortzuführen. Auch die Mitarbeite-rinnen und Mitarbeiter des Stromnetzes brauchen nun eine Garantie des Landes, dass sie auch langfristig nicht schlechter gestellt werden und ihre Arbeitsplätze gesichert sind. Zusätzlich ist die angekündigte Koordination mit dem Fernwärmenetz transparent darzustellen.“

Das Fernwärmenetz wird nach wie vor von Vattenfall betrieben. Eine Übernahme auch dieses Netzes wollten Müller und Kollatz nicht grundsätzlich aus-schließen.

Einer der verbissensten Kämpfer für die Rekommunalisierung, der SPD-Abgeordnete Jörg Stroedter hat natürlich auch eine Meinung. „Die SPD-Fraktion des Berliner Abgeordnetenhauses begrüßt ausdrücklich die Entscheidung von Vattenfall, seine Anteile zu 100 Prozent an das Land Berlin zu verkaufen. Damit findet eine lange rechtliche Auseinandersetzung um die Vergabe des Stromnetzes einen positiven Abschluss.

Mit dem Betrieb Berlin Energie steht dem Land Berlin ein kompetenter Partner für den Betrieb des Stromnetzes zur Verfügung. Berlin Energie wird die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Stromnetz GmbH übernehmen und stellt damit sicher, dass die Arbeitsplätze alle erhalten bleiben. Berlin Energie wird zuverlässig den Betrieb fortsetzen und darüber hinaus Investitionen tätigen, deren Ziel ist, im Sinne des Klimaschutzes die Energiewende weiter voran zu treiben.

Die Finanzierung des Ankaufs wird über Darlehen erfolgen, so dass keine Haushaltsmittel benötigt werden. Dies erfolgt ähnlich wie bei der Rekommunalisierung der Berliner Wasserbetriebe. Die Darlehen werden zum Teil landesverbürgt sein, dafür sind bereits Ermächtigungen für Bürgschaften im Lan-deshaushalt vorhanden. Die Übergabe wird zum 1.1.2021 erfolgen und der Kaufpreis wird auf der Basis des abgegebenen Angebots von Berlin Energie ermittelt werden.

Die heutige Entscheidung ist durch die Arbeit der Enquete-Kommission Neue Energie für Berlin des Berliner Abgeordnetenhauses inhaltlich unterstützt worden und ein langer Wunsch der SPD-Fraktion des Abgeordnetenhauses. Der Energievolksentscheid, an dem viele Berlinerinnen und Berliner teilgenommen haben, wird damit umgesetzt. Und wir gehen davon aus, dass wie bei der Rekommunalisierung der Wasserbetriebe auch die Rekommunalisierung im Bereich Strom eine Erfolgsgeschichte wird.

Als nächsten Schritt werden wir versuchen, auch beim Gasnetz zu einer erfolgreichen Rekommunalisierung zu kommen.“

Und zum Schluss lassen wir noch Daniel Buchholz, den Sprecher für Umwelt und Klimaschutz der SPD-Fraktion zu Wort kommen:

„Das ist ein sensationeller Erfolg für Berlin, aber auch für mehr Klimaschutz! Die nachhaltige Rekommunalisierung von wichtigen Unternehmen der Daseinsvorsorge bringt die SPD seit mehr als 10 Jahren voran. Nach dem Rückkauf der Wasserbetriebe und von Wohnungsbeständen wird diese Strategie jetzt im wichtigen Bereich der Energie-Infrastruktur fortgesetzt. Glückwunsch an den Re-gierenden Bürgermeister und den Finanzsenator für diesen Verhandlungserfolg!

Die Beschäftigten profitieren direkt durch sichere und faire Arbeitsplätze bei einem kommunalen Arbeitgeber. Die Berlinerinnen und Berliner profitieren durch einen starken kommunalen Netzbetreiber, der die sichere, preiswerte und klimafreundliche Versorgung für alle durchsetzt. Das ist ein echter Mehrwert für die Stadt und ihre Bewohner*innen. Es werden nicht mehr jedes Jahr Millionen-Gewinne im zwei- bis dreistelligen Bereich nach Schweden über-wiesen, daraus lässt sich der Rückkauf langfristig refinanzieren ohne den Einsatz von Haushaltsmitteln.

Die Rekommunalisierung des Berliner Stromnetzes bietet auch eine unglaublich große Chance für mehr Klimaschutz! Bis 2050 muss Berlin klimaneutral werden, das haben wir bereits gesetzlich verankert. Lokale Produzenten von Ökostrom brauchen einen fairen Netzbetreiber in städtischer Hand genauso wie Anbieter von smarten Lösungen, dann läuft es noch besser mit der Energiewende!

Als nächstes geht es um die Rekommunalisierung des Gas- und (Fern-)Wärmenetzes. Den verbindlichen Fahrplan für mehr Klimaschutz in diesen Bereichen werden wir auch gesetzlich festschreiben. Wir arbeiten in der Koalition bereits an einem Regulierungsgesetz für den diskriminierungsfreien Betrieb von Wärmenetzen in Berlin.“

Nur nochmal zwei Zahlen: 102 Mio. Gewinn erzielte die Stromnetz Berlin GmbH 2019. Das ist die Summe, die angeblich nach Schweden geht. 145,2 Mio. Euro erhielt Berlin von der Stromnetzgesellschaft für die Konzession. Dieser Betrag entfällt künftig. Ob sich der Gewinn bei einem staatlichen Unternehmen steigern lässt, wird sich zeigen. Wie sich aus dem Gewinn, abzüglich der Konzessionsabgabe, immer-hin eine Differenz von Minus 43 Mio. Euro, „der Rückkauf langfristig refinanzieren“ soll „ohne den Einsatz von Haushaltsmitteln“ wird uns Daniel Buchholz sicherlich mal vorrechnen. Darüber wer-den uns 2022 der oder die neue Regierende Bürgermeister/in und Finanzsenator/in informieren.

Die Bundesnetzagentur hat Anfang 2019 der Strom-netz Berlin GmbH attestiert, nicht nur einen Effizienzwert von 100 Prozent, sondern darüber hinaus die höchstmögliche „Supereffizienz“ in Höhe von 105 Prozent zu haben. Die Latte liegt hoch für den künftigen Berliner Staatskonzern.

Am Bürger geht das aber alles ziemlich desinteressiert vorbei. Hauptsache, mein Fernseher hat Strom und die Bude ist warm.

Ed Koch




  
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