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"Ich bleibe der, der ich vorher war!" Interview mit Florian Graf

geschrieben von: Redaktion am 21.03.2012, 20:25 Uhr
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Wahlen bringen – nicht immer – aber dann und wann, Veränderungen hervor. Inhaltlicher und personeller Art. In Berlin hat sich eine neue Koalition aus SPD und CDU gebildet und nach 100 Tagen etabliert. Der Mehrheitswunsch der Wähler nach Rot-Grün war nicht umzusetzen. Inzwischen ist eine neue Mehrheit mit Rot-Schwarz zufrieden. Klaus Wowereit ist nach wie vor Regierender Bürgermeister, aber im Senat sind er und Ulrich Nußbaum die einzigen aus der Vorgängerregierung. Da die bisherigen Fraktionsvorsitzenden von SPD, Michael Müller, und CDU, Frank Henkel, nicht nur zu Senatoren, sondern auch zu Bürgermeistern, also Stellvertretern von Wowereit ernannt wurden, haben sich auch die Fraktionsspitzen von SPD und CDU verändert. Mit Raed Saleh, der seine Rolle noch nicht gefunden hat, haben die SPD-Senatsmitglieder nicht gerade den loyalsten Mann an ihrer Fraktionsspitze. Von einem anderen Kaliber ist da Dr. Florian Graf, der neue CDU-Fraktionsvorsitzende. Er war bei Frank Henkel Parlamentarischer Geschäftsführer, bringt also viel Erfahrung mit.
Der 38-jährige Florian Graf (verheiratet, ein Kind), Kreisvorsitzender der CDU Tempelhof-Schöneberg, ist ein völlig uneitler Mensch. Er drängt sich nicht in den Vordergrund, sondern sieht seine Aufgabe darin, loyal den Senat zu unterstützen. Er ist ein angenehm sachlicher und ruhiger Politiker, auch wenn er inzwischen Reden hält, in denen er richtig aus sich herausgeht. Die Opposition hat bei ihm nichts zu Lachen.

paperpress-Herausgeber Ed Koch sprach mit Florian Graf über die ersten 100 Tage im neuen Amt.

paperpress: Sie waren vor ihrer jetzigen Tätigkeit als Fraktionsvorsitzender Parlamentarischer Geschäftsführer der CDU-Fraktion. Sicherlich auch nicht gerade eine Tätigkeit, in der man sich ausruhen kann. Wie würden Sie aber den Unterschied zwischen beiden Funktion beschreiben – was ist ggf. besser, was schlechter bzw. anders?

Dr. Graf: Ich bleibe der, der ich vorher war. Ich habe mich bisher immer über Themen und Inhalte definiert, als Fachpolitiker im Haushaltsbereich. Das ist ein gutes Fundament, um auch als Fraktionsvorsitzender tätig zu sein. Als Parlamentarischer Geschäftsführer muss man sehr häufig Abläufe hinter den Kulissen organisieren, als Fraktionsvorsitzender ist man stärker nach außen gefordert.

paperpress: Ein Unterschied zu Ihrer vorherigen Tätigkeit ist, Sie haben es gesagt, dass Sie jetzt viel mehr in der Öffentlichkeit stehen und wahrgenommen werden als vorher. Schaut man da mehr auf sein Outfit – Anzüge – Krawatten – Brille – sitzt die Frisur, oder legen Sie darauf keinen so großen Wert.

Dr. Graf: Nein, wie gesagt, ich bleibe der, der ich vorher war, da gibt es keine Veränderungen. Die Brille ist noch dieselbe wie vorher und an Wettbewerben, wie zum Krawattenmann des Jahres, beteilige ich mich nicht.

paperpress: Beschreiben Sie doch bitte, wie Sie Ihre Aufgabe als Fraktionsvorsitzender sehen, gegenüber der Fraktion, dem Senat, der eigenen Partei?

Dr. Graf: Wowereit und Henkel sind das Führungsduo, das die Regierung nach außen vertritt. Die Regierungsfraktionen sind ein stabiles Scharnier für diese Koalition. Wir lassen uns nicht davon beeindrucken, wenn versucht wird, Sand ins Getriebe zu streuen. Die Fraktionen müssen natürlich ein Stückweit ihr Profil einfordern, aber insgesamt unterstützen wir natürlich den Regierungskurs.

paperpress: In den letzten zehn Jahren war es die Aufgabe der CDU, den Senat kritisch zu beobachten und die Finger in die Wunden zu legen. Jetzt gehören Sie zur Regierung. Was ist nach Ihrer bisherigen Erfahrung leichter, Opposition oder Regierung?

Dr. Graf: Natürlich tragen wir als Regierungsfraktion mehr Verantwortung. Gegen etwas zu opponieren ist einfacher, als auch einmal unpopuläre Entscheidungen zu vertreten, auch im eigenen Wahlkreis. Insgesamt ist es aber erfüllender zu regieren, weil man mitgestalten kann. Das merkt man vor allem bei den Haushaltsberatungen, wo man als Opposition die harte Bank drückt und kaum etwas verändern kann. In der Regierung ist es möglich, eigene Akzente zu setzen. Dafür sind wir bei der Wahl auch angetreten.

paperpress: Wie geht man damit um, wenn man den Regierungschef lange Zeit hart angegangen ist und er jetzt sozusagen mit einem im selben Boot sitzt – Wowereit hat sich ja nicht verändert, er ist so wie er ist.

Dr. Graf: Wir haben nicht vergessen, dass wir zehn Jahre gegen Rot-Rot, unter Führung von Wowereit, gekämpft haben. Wir können heute mit Genugtuung feststellen, dass niemand Rot-Rot in der Stadt vermisst und auch niemand Frau Künast nachtrauert. In einer Koalition steht man zusammen und verteidigt sich auch. Diese Koalition arbeitet prima zusammen. In den ersten 100 Tagen haben wir Erfolg versprechende Ansätze geliefert. Das Klima im Senat und zwischen den Fraktionen ist sehr gut.

paperpress: Journalisten versuchen ja immer bei Koalitionen, gleich welcher Zusammensetzung, Differenzen herauszufinden. Wie gehen Sie damit um?

Dr. Graf: Natürlich sind für Journalisten Widersprüche interessanter als Konsens und Einvernehmen. Allerdings pflege ich zu Raed Saleh einen kurzen Draht. Wir sind uns in vielen Punkten weitgehend einig.

paperpress: Koalitionen sind Kompromissveranstaltungen. Die Koalitionsvereinbarung ist die Rot-Schwarze Grundlage. Die ersten 100 Tage sind um – in welchen Politikbereichen haben Sie bereits begonnen, Ihre politischen Ziele umzusetzen?

Dr. Graf: Die Koalition ist von Pragmatismus getragen, mit dem Willen, wichtige Projekte für die Stadt voranzubringen. Unsere Schwerpunkte sind der Ausbau der Infrastruktur, die Stärkung der inneren und sozialen Sicherheit und die Schaffung von neuen Arbeitsplätzen. Der Ausbau der Infrastruktur ist nur möglich, weil die CDU mitregiert. Der Ausbau der A100, der Tangentialverbindung Ost, auch jetzt das klare Bekenntnis zum Großflughafen sind Beispiele dafür. Nicht zu vergessen, die Abschaffung des Straßenausbaubeitragsgesetzes. Diese haben wir jahrelang gefordert. Nun können wir unser Wahlversprechen einlösen.

In den ersten 100 Tagen ist etliches auf den Weg gebracht worden: sehr geräuschlos und schnell wurde der Doppelhaushalt vom Senat beschlossen, in dem wir mit unserem Innensenator Frank Henkel das Thema Prävention mit mehr Polizisten auf der Straße gestärkt haben, z.B. mit 250 zusätzlichen Vollzugspolizisten. Wir übernehmen die Auszubildenden bei Polizei, Feuerwehr und Justiz. Die Videospeicherfrist bei der BVG wurde auf 48 Stunden erhöht, um deutlich zu machen, dass es hier verstärkt um Opferschutz und nicht um Täterschutz geht. Nun beschwört die versammelte Opposition den Niedergang der Freiheitsrechte, ich glaube aber, dass diese Regelung der Erkenntnis folgt, die Übergriffe im ÖPNV sehr ernst zu nehmen.

Wir haben im Wirtschaftsbereich angefangen mit der Bewerbung für das nationale Schaufenster Elektromobilität. Ich finde die klaren Worte des Gesundheitssenators Mario Czaja im Hinblick auf die Rückzahlung der Vorstandsvergütung bei der Kassenärztlichen Vereinigung sehr vernünftig. Es ist richtig auch dem Verdacht auf Unregelmäßigkeiten bei den Pflegediensten nachzugehen. Wir haben ein ambitioniertes Programm für fünf Jahre, das kann man natürlich nicht alles in 100 Tagen umsetzen. Insgesamt werden wir die Stadt wirtschaftlich voranbringen, Wissenschaft, Forschung, Tourismus und Kultur stärken und die rote Laterne bei der Arbeitslosigkeit abgeben. Daran werden wir hart arbeiten.

paperpress: Welche Aussagen machen zu können wünschen Sie sich, wenn Sie 2016 in den Wahlkampf ziehen?

Dr. Graf: Dass sich etwas in Berlin verändert hat. Dass wir die Stadt wirtschaftlich vorangebracht haben und dass es uns gelungen ist, mehr Menschen in Arbeit zu bringen. Den Teufelskreislauf von Geringqualifizierung und Langzeitarbeitslosigkeit müssen wir beenden. Ich habe große Hoffnung, dass wir mit dem Programm „Berlin Arbeit“ Erfolge haben werden. Und natürlich, dass der Großflughafen ein Jobmotor geworden ist, der Ausbau der A100 und der Bau der Tangentialverbindung Ost (TVO) erfolgt und wir genügend Kita-Plätze in Berlin haben.

paperpress: Bei der gegenwärtigen Debatte um die Annahme von Geschenken oder Einladungen gibt es eine große Verunsicherung, was geht und was nicht. Es kann aber doch nicht sein, dass Politiker deshalb keine Einladung mehr für Sport- oder kulturelle Veranstaltungen annehmen.

Dr. Graf: Wir werden uns die Regeln noch einmal anschauen müssen. Insgesamt ist mir und meinen Kolleginnen und Kollegen in der Fraktion wichtig, dass wir das Selbstverständnis als Abgeordnete haben, in der Stadt präsent zu sein. Und zwar sowohl bei den Einrichtungen landes-weit, die aus dem Haushalt gefördert werden, wie auch im Wahlkreis, wo beispielsweise die Sportvereine erwarten, dass ihr direkt gewählter Abgeordneter vor Ort ist. Das werden wir auch weiter fortsetzen. Das Parlament wird sich damit beschäftigen, um alle Unklarheiten zu beseitigen. Niemand soll unbewusst Unrecht tun.

Man muss auch aufpassen, durch solche Diskussionen nicht diejenigen Unternehmen zu verunsichern, die kulturelle oder sportliche Projekte durch Sponsoring fördern. Sobald diese sich nämlich diskreditiert fühlen und sich aus der gesellschaftlichen Verantwortung, gemeinnützige Vorhaben zu finanzieren, zurückziehen, leidet doch das gesamte Vereinswesen.

paperpress: Zum Schluss noch eine Frage zu denen, die jetzt Opposition sind. Die Opposition ist ja immer der Meinung, die besseren Konzepte zu haben. Wie ist Ihre Einstellung gegenüber Initiativen der Oppositionsparteien?

Dr. Graf: Gegenwärtig hat die Opposition aus Grünen, Linken und Piraten personell und inhaltlich nicht das Format, einen überzeugenden Gegenentwurf zur Regierung darzustellen. Es gibt viele Punkte, wo wir die Opposition überholt haben, beispielsweise die Änderung des Senatorengesetzes im Hinblick auf das Übergangsgeld und Amtszeit. Auch beim Vergabegesetz haben wir deutlich gemacht, dass diese Koalition sowohl für gerechte Löhne steht, als auch für Entbürokratisierung. Deshalb haben wir die Wertgrenzen bei der öffentlichen Auftragsvergabe von 500 auf 10.000 Euro erhöht, d.h. erst jenseits dieser Nettowertgrenze muss ein Betrieb die Voraussetzungen des Vergabegesetzes erfüllen. Das bedeutet Verzicht auf unnötige Bürokratie und damit weniger Kosten für die Betriebe.

Bislang vermisse ich substanzielle Vorschläge der Opposition. Es gibt ein allgemeines Gemecker an der Koalition, aber in Wirklichkeit hat auch diese 100-Tage-Bilanz gezeigt, dass die Opposition überhaupt nicht gut aufgestellt ist. Ich habe den Eindruck, die Grünen haben in den ersten 100 Tagen den Dreiklang angeschlagen: bis zur Wahl Selbstüberschätzung, danach Selbstzerfleischung und dann Selbstfindung mit einem Mediator. Sie sind in einer schwierigen Phase, weil ihnen sowohl ein Fraktionsvorsitzender als auch ein Parlamentarischer Geschäftsführer abhanden gekommen ist. In der Schifffahrt würde man sagen, man hat den Kapitän und den Ersten Offizier durch einen Leichtmatrosen ersetzt. Die Grünen haben noch einen harten Weg in der Opposition vor sich.

paperpress: Wir danken für das Gespräch

  
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